Sonntag, 31. Juli 2011

Pico della Mirandola: Der Entdecker der Menschenwürde

Hat der italienische Renaissance-Gelehrte Pico della Mirandola die Menschenwürde entdeckt? Nun, zumindest hat er den Begriff in die Europäische Kultur eingeführt. Das er dabei als Christ auch auf die arabische Kultur verwies, macht ihn für die aktuelle Debatte über Europäische Werte und Identität wichtig.

Aber bevor ich auf Mirandola eingehe, möchte ich noch kurz erwähnen, welcher aktuelle Anlass mich überhaupt dazu bringt. Auf Zeit-Online erschien heute ein wunderschöner Artikel über Giorgio Vasari, der den Begriff der Renaissance prägte. Der Artikel weisst korrekt darauf hin, dass Raffael, Michelangelo und Leonardo weitaus bekannter sind als Vasari, obwohl es Vasari war, der unser Verständnis des Begriffs Kunst stärker geprägt hat. Mehr ist von meiner Seite aus dazu nicht zu sagen: Der Artikel ist perfekt und für jeden, der die sich für unser heutiges Kulturbild interessiert ein lesenswerter Genuss.

An einer Stelle geht der Artikel auf Pico della Mirandola ein. Es heisst dort "Ein neues, goldenes Zeitalter wurde beschworen, und berühmte Denker wie Giovanni Pico della Mirandola waren eifrig darum bemüht, die gewaltigen Unterschiede zwischen den heidnischen Vorzeiten und der christlichen Gegenwart hinfortzuphilosophieren. Selbst der Islam und das Judentum wurden freundlich eingemeindet – alles sollte mit allem vereinbar sein. Und so fanden die Künstler bald nichts mehr dabei, ihre Christus-Figuren als Apollon auftreten zu lassen oder umgekehrt."

Zu Mirandola möchte ich einiges ergänzen: Wie das Zitat schon andeutet, gehörte er zu den Philosophen, der abend- und morgenländisches Wissen vereinigten. Er ist damit in der aktuellen Kulturdebatte eine wichtige Bezugsperson: Sein Beispiel zeigt, wie weltfremd der Gedanke ist, dass die Europäische Kultur nicht beeinflusst wurde von der Kultur des Morgenlandes. Die Leugnung dieses Einfluss ist in der aktuellen Islamdebatte leider oft zu finden. Das Morgenland ist natürlich mit dem Islam nicht gleichzusetzen: Dort gab es auch vor dem Erscheinen des Islams schon Hochkulturen, aber Islamgegner scheinen oft solche Unterscheidungen nicht treffen zu wollen.

Pico della Mirandola wurde vor allem für sein Werk "Über die Würde des Menschen" berühmt. Es ist ein zentrales Dokument des Humanismus und der Renaissance, welches die Idee von Wert und Würde des Individuums fest in die Europäische Kulturgeschichte verankerte.

Mirandola lebte von 1463 bis 1494: Er wurde also gerade einmal 31 Jahre alt. Für seine Zeit besaß er einen ungewöhnlich breiten Horizont: Er sprach Latein und Griechisch, Arabisch und Hebräisch. Er kannte die christliche Theologie so gut wie die jüdische Kabbalah und er hatte ein grosses Ziel, welches wie die Vorwegnahme der Lessingschen Ringparabel wirkt: Zu zeigen, dass alle philosophischen und religiösen Lehren einen gemeinsamen Kern haben.

Er legte dies und anderes mehr in rund 900 Thesen dar, welche er in einem Gelehrtenkongress in Rom diskutieren wollte. Der Papst allerdings zog es vor, diese Thesen zunächst durch eine Kommission auf ihre Rechtgläubigkeit prüfen zu lassen. Mirandola ahnte wohl, dass davon Gefahr für sein Leben ausging und verweigerte sich dieser Prüfung. Mirandola veröffentlichte eine Verteidigungsschrift und flüchtete, wobei er letztlich Zuflucht bei den Medici in Florenz fand.

Die Schrift, in der er den Begriff der Menschenwürde in die Europäische Kultur einführte, bekennt sich zwar ganz eindeutig zum Christentum, aber in dieser Schrift finden sich Gedanken, die der Ausgangspunkt für eine humanistische Philosophie sind, welche sich von der Religion ablösen wird. Nach Mirandola stellt der Schöpfer den Menschen in die Mitte der Welt und stattet ihn aus mit Weisheit, Vernunft, freiem Willen und der Fähigkeit, sein Leben selbst zu gestalten. Daraus wird sich ein Weltbild entwickeln, welches sich zunehmend von der religiösen Begründung der Menschenwürde entfernt.

Bemerkenswert sind die selten zitierten ersten Worte seiner Rede zur Menschenwürde: „Ehrwürdige Väter, ich habe in den Schriften der Araber gelesen, dass Abdallah, der Sarazener, auf die Frage, was ihm auf der Weltenbühne am bewundernswertesten erscheine, geantwortet habe: Nichts erscheine ihm wunderbarer als der Mensch. Damit stimmt er mit dem berühmten Satz des Hermes überein: Ein grosses Wunder, o Asklepius, ist der Mensch.“ Er beginnt seine Rede über die Würde des Menschen also nicht mit dem christlichen Gott, sondern mit einem Bezug auf arabische Kultur und die Götterwelt der Griechen.

Ein schönes Beispiel dafür, wie einer der zentralsten Begriffe der Europäischen Kultur, der der Menschenwürde, mit Gedanken aus dem arabischen Kulturraum verknüpft ist.

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