Montag, 1. August 2011

Ist Breivik ein Rechtsradikaler?

(Teil 2 von 4 einer Serie zu den Motiven Breiviks)


Anders Breivik vertrete eine "rechtsextreme christlich-fundamentalistische Ideologie" war die erste Diagnose der Polizei nach der Verhaftung des norwegischen Attentäters. Das Urteil "christlicher Fundamentalist" ist irreführend, wie ich versuchte in Teil 1 darzulegen. Was aber ist mit dem Etikett "rechtsextrem"?


Um dies zu beurteilen, müssen wir zunächst einmal fragen, was "rechtsextrem" bedeutet. Die Unterscheidung zwischen "links" und "rechts" im politischen Spektrum geht auf die Zeit vor der französischen Revolution zurück. Dort saßen in der Nationalversammlung links die revolutionären Kräfte und rechts die Mitglieder, welche die bestehende Monarchie bewahren bzw. konservieren wollten. Innerhalb dieser konservativen Strömung gab es dann weniger radikale und radikalere, also rechtsextreme, Positionen.


In Deutschland verbindet man mit dem Begriff des Rechtsextremismus den Nationalsozialismus des Dritten Reiches. Mit "rechtsextrem" bezeichnen wir in Deutschland Menschen, die einen neuen Nationalsozialismus wollen: Neonazis. Typische Merkmale dieser Weltanschauung sind nach üblichem Verständnis Rassismus und Antisemitismus, Leugnung des Holocaust, Führerkult und Hitlerverehrung, eine nationalistische und antidemokratische Vorstellung von Politik. Der Begriff Faschismus leitet sich aus dem italienischen "Fasci di Combattimento" ab und bezieht sich auf Kampfgruppen, welche dieser Ideologie zum Sieg verhelfen sollen.


Wie nah oder fern ist Breivik von diesen Positionen? Man findet einige Gemeinsamkeiten, aber auch wichtige Unterschiede. Insgesamt führt dies zu dem Schluss, dass er sicherlich ein extrem konservatives Weltbild vertritt, aber das übliche Bild eines Rechtsextremen auf ihn nicht passt: Er gehört zu einem anderen Typus des rechten Spektrums, aber schauen wir uns dies der Reihe nach an.


Ist er ein Antisemit? Eindeutig nein. In der neuen kulturkonservativen Richtung für die er steht ist man eindeutig pro-israelisch. Der Blog "Gates of Vienna" unterstützt Israel ebenso wie das deutsche Gegenstück "Politically Incorrect". Aus einer islamfeindlichen Haltung ergibt sich eine israelfreundliche: Israel wird als Brückenkopf der westlichen Kultur im Nahen Osten betrachtet.


Er vertritt auch keine rassistische Position. Im Gegenteil: Er schreibt "I'm worried that the ethnocentric ideologies will become more dominant in Western Europe the coming decades. The main reason is that te non-ethnocentric factions on the right wing are not getting enough support". Er sieht sich in einem Kampf der Kulturen, nicht der Rassen.


In seinem Selbstinterview stellt er auch klar, dass er den Holocaust an den Juden im Dritten Reich nicht leugnet. Allerdings unterstellt er, dass der Islam eine Serie von Holocaust-Ereignissen produziert hat, welche geleugnet würden und denen 300 Millionen Menschen zum Opfer gefallen seien.


Ist er ein Nationalist? In gewissem Sinne ja. Nationen sind für ihn allerdings in erster Linie kulturelle Instanzen: Er sieht keine prinzipielle Überlegenheit einer bestimmten Nation über eine andere, so wie es der deutsche Nationalsozialismus tat. Essentiell für ihn ist die kulturelle Reinheit, die er in Nationen wie Japan und Südkorea gegeben sieht. Im Fokus steht für ihn die monokulturelle Reinheit Europas. Der Bezug auf die Tempelritter ist dafür eine gute Illustration: Diese waren ebenfalls übernational und kulturell geeint. Beschäftigt man sich ein wenig mit der Geschichte Europas und den Wanderbewegungen, aus denen es hervorging, erscheint sein Bild der Kultur unseres Kontinents einigermassen absurd: Auf den Einfluss der arabischen Kultur auf Europa werde ich vermutlich in einem separaten Beitrag später einmal eingehen.


Ist Breivik ein Faschist? In gewissem Sinne ja. Wie eingangs erwähnt, bezieht sich der Begriff auf Kampfgruppen, die einer Ideologie zur Macht verhelfen sollten. Auch Breivik hat das Bild vor Augen, dass es Kampfverbände im Untergrund geben sollte: Die neuen Tempelritter. Auf die direkte Frage im Selbstinterview seines Manifests, warum er sich dennoch nicht als Faschisten sieht, antwortet er : "A fascist opposes the democratical concept altogether and wants a permanent one party state, while we do NOT want this. In order to secure democracy etc.". Er will also faschistische Methoden anwenden, damit aber aus seiner Sicht demokratische Strukturen herbeiführen. 


Damit ist auch bereits geklärt, dass ihm kein klassisch-rechtsradikaler Führerstatt vorschwebt. Er will langfristig Demokratie, die er zur Zeit durch eine angebliche Dominanz von "Kulturmarxisten" in Politik und Medien für nicht gegeben hält. Allerdings stellt er auch klar, dass Demokratie für ihn kein Endzweck ist, sondern ein Mittel. Dies würde ein echter Demokrat wohl anders sehen: Dieser würde argumentieren, dass andere Staatsformen als Mittel stets ungeeigneter seien als Demokratie und diese daher einen Wert an sich darstellt. Breivik ist ein Scheindemokrat, welcher Demokratie nur akzeptiert, wenn seine Meinung darin vorherrscht.  Nichts desto trotz ist die angebliche Demokratieunfähigkeit des Islam für ihn ein wichtiges Argument gegen diese Religion und die damit aus seiner Sicht verbundene totalitäre Kultur.


Sympathie für Hitler, ein Kernmerkmal der klassischen deutschen Neonazis, ist bei ihm nicht zu finden. Er nennt Hitler "a traitor to the Germanic and and European tribes, NOT a hero". Er spricht sogar in diesem Zusammenhang vom "great Satan" und schreibt: "Whenever someone asks if I am a national socialist I am deeply offended. If there is one historical figure and past Germanic leader I hate it is Adolf Hitler. If I could travel in a time-machine to Berlin in 1933, I would be the first person to go – with the purpose of killing him. Why? No person has ever committed a more horrible crime against his tribe than Hitler. Because of him, the Germanic tribes are dying and MAY be completely wiped out unless we manage to win within 20-70 years." Das ist eindeutig, wobei nicht ganz klar ist, ob er Hitlers Meinung oder seine Erfolglosigkeit verurteilt.


Fazit: Breivik vertritt nicht das Weltbild eines klassischen Neonazis, schon gar nicht das spezifisch deutsche Bild dieser Menschen. Er ist rechts im kulturkonservativem Sinn und er ist natürlich verbrecherisch radikal in der Wahl seiner Mittel. Ganz falsch ist das Etikett "rechtsextrem" daher nicht, aber es ist auch potentiell irreführend, wenn man damit die klassisch Rechtsextremen meint, die den faschistischen Führern Europas nachtrauern. 


Er vertritt eine neuere breite Strömung am rechten Rand die man durchaus rechtspopulistisch nennen kann. In diesem Weltbild nehmen Muslime eine ähnliche Rolle ein, welche Juden für den klassischen Nazideutschen hatten: Sie unterwandern und bedrohen in seinem Weltbild unsere Gesellschaft. So wie eine arische Rasse im Weltbild Hitlers im ewigen Kampf mit der jüdischen Rasse ist, so bekämpft in Breiviks Welt die Kultur des Islams Europas Werte in einem seit Jahrhunderten andauernden Krieg. Mit diesem Weltbild ist er nicht allein: Gleich oben auf der Internetpräsenz von "Gates of Vienna" heisst es: "We are in a new phase of a very old war." Auf diese Zeile werde ich zurückkommen in Teil 3 und 4, wenn es um die Fragen geht, ob er ein wahnsinniger Einzeltäter ist und was seine Motive waren.

1 Kommentar:

  1. Es bleibt allerdings offen, in wie weit Breivik hier Versatzstücke, mehr oder weniger willkürlich ausgewählt, in eine konsistentes eigene Denkgebäude einbaute, oder ob die zusammewürfelten Element einer ganz anderen Agenda dienten, nämlich als schlichter Rechtfertigungsfilm für Taten, die ganz anderen Ursachen entsprangen.

    Gruß Martin

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